Zeit für digitale Barrierefreiheit
19.10.2022
Relevanz und Prinzipien von Web Accessibility
Digitale Barrierefreiheit sorgt für Gleichberechtigung und Inklusion in der Welt des World Wide Webs. Sie ermöglicht es, dass sich auch Menschen mit (temporären) visuellen, auditiven, kognitiven oder motorischen Beeinträchtigungen bestens auf Websites informieren sowie Onlineshops und Plattformen nützen können. Die Umsetzung von Web-Accessibility-Maßnahmen verbessert gleichzeitig die User Experience von weiteren Nutzer:innen, beispielsweise von jenen, die über eine langsame Internetverbindung verfügen oder mobile Endgeräte nutzen. Durch die Einhaltung gewisser Barrierefreiheit-Standards könnt ihr zudem eine größere Zielgruppe erreichen, wodurch sich die Investitionen auch wirtschaftlich rentieren.
Im heutigen Blogbeitrag gehen wir auf die Prinzipien des WCAG („Web Content Accessibility Guidelines“ des World Wide Web Consortium) sowie auf gesetzliche Grundlagen ein. Ebenso erläutern wir konkrete Maßnahmen, die ihr als Website-Betreiber:innen umsetzen solltet. Dafür haben wir mit unserer UX-/UI-Designerin Monika Haider gesprochen, die ihre Erfahrungen und Tipps mit euch teilt. Zum Abschluss erklären wir, welche Bedeutung die zeitnahe Umsetzung von Web-Accessibility-Maßnahmen hat.
Gesetzeslage und WCAG-Prinzipien
Die WCAG-Leitlinien dienen als internationales Regelwerk, an welchem sich Web-Entwickler:innen und -Designer:innen bei der Beseitigung von Barrieren im Internet orientieren. Durch das auf einer EU-Richtlinie basierende, in Österreich geltende E-Government-Gesetz ist die Republik Österreich dazu verpflichtet, ihre Online-Angebote (Websites der Ministerien, FinanzOnline, …) barrierefrei zu gestalten. Für Privatunternehmen gibt es noch keine derartige Verpflichtung, aber die EU möchte auch diese in die Pflicht nehmen und hat im Jahr 2019 den European Accessibility Act (EAA) beschlossen, der bis Mitte 2025 in den einzelnen Mitgliedsstaaten angewendet werden muss. Alle Unternehmen, die Software, Hardware und/oder digitale Dienste verkaufen, müssen in Zukunft auf die Einhaltung der neuen nationalen Barrierefreiheit-Gesetze achten.
Die WCAG 2.1 aus dem Jahr 2018 basieren auf vier Prinzipien:
▶ Wahrnehmbarkeit: Der eigene Online-Auftritt muss von diversen User:innen wahrgenommen werden können. In diesen Bereich fällt unter anderem das Bereitstellen von Alternativtexten bei Grafiken, das Einfügen von Video-Untertiteln und die Erzeugung eines klaren visuellen Unterschieds zwischen dem Seitenvorder- und dem -hintergrund.
▶ Bedienbarkeit: Sämtliche Bereiche der Website müssen auch für Personen mit dauerhaften oder temporären Beeinträchtigungen bedienbar sein. Eine bedeutende Richtlinie dieses Prinzips stellt die vollständige Tastaturbedienbarkeit des Online-Auftritts dar. Außerdem muss den Nutzer:innen genügend Zeit für das Rezipieren der Inhalte gewährt werden, und die einzelnen Elemente der Seiten (Überschriften, Beschriftungen, …) müssen navigierbar gestaltet werden.
▶ Verständlichkeit: Die Bedienung und die Informationen, die Website-Betreiber:innen zur Verfügung stellen, müssen verständlich sein. Die Texte sollten informativ sein und ungewöhnliche oder schwer übersetzbare Begriffe sollten durch einfachere Alternativen ersetzt werden. Ebenso bedeutsam sind die Vorhersehbarkeit der Funktionsweise einer Webseite und das Bereitstellen von Hilfestellungen bei Eingaben. Ein klassisches Beispiel dafür sind genaue Angaben, in welcher Form Zahlen richtig in ein Online-Formular eingegeben werden müssen.
▶ Robustheit: Unter Robustheit versteht man in diesem Zusammenhang die technische Kompatibilität des Webauftritts. Die Inhalte müssen auch von Screenreadern, Brailledisplays und Vergrößerungssoftware ausgelesen werden können.
Die WCAG sind pyramidenförmig aufgebaut. Neben den vier Prinzipien gibt es dreizehn Richtlinien, 78 Erfolgskriterien sowie unzählige nicht normative Techniken, die zur Umsetzung der Leitlinien eingesetzt werden können. Wenn ihr damit beschäftigt seid, eure Website barrierefrei zu gestalten, dürft ihr das übergeordnete Ziel nie aus den Augen verlieren: Mit der Barrierefreiheit wird das Ziel verfolgt, möglichst viele Hindernisse zu entfernen oder zu minimieren!
Wichtige Maßnahmen für eine digitale Barrierefreiheit
Gemäß unserer Erfahrung solltet ihr bei der Umsetzung von Web-Accessibility-Maßnahmen besonders auf die folgenden Punkte achten:
▶ Tastaturbedienbarkeit: Die Tastaturbedienbarkeit spielt für unsere UX-/UI-Designerin Monika Haider eine wichtige Rolle: „Das ist einer der Punkte, die bei der Barrierefreiheit oft zu wenig oder gar nicht beachtet werden. Allerdings nützen immer mehr Menschen beim Navigieren die Tabulator-Tasten. Die User:innen, die sich auf diese Weise auf der Website bewegen, müssen stets wissen, welches Seitenelement sie gerade angesteuert haben. Dies ist vor allem vor dem Anklicken von Bildern, Links und Buttons von Relevanz. Optische Hervorhebungen (zum Beispiel ein oranger Rahmen um einen Link) vereinfachen die Tabulator-Navigation immens.“
▶ Struktur und Schriften: Die Seitenstruktur dient der Usability und der Barrierefreiheit. Die einfache Bedienbarkeit ist ein Prinzip der WCAG-Leitlinien und kann nur durch einen klaren, einheitlichen Website-Aufbau gewährleistet werden. Beim Thema Schriften weist Monika auf zwei wichtige Aspekte hin: „Im Sinne der Barrierefreiheit empfehle ich stets den Einsatz von serifenlosen Schriften, wobei gleichzeitig darauf geachtet werden muss, dass die Schriftgröße anpassbar ist. Dies ist notwendig, damit eine Vergrößerungssoftware optimal genutzt werden kann.“
▶ Alternativtexte: Alternativtexte bei Fotos und Grafiken sind zu einem Must-have beim professionellem Webdesign geworden. Nur durch sie können blinde oder sehbeeinträchtigte Menschen die visuellen Informationen, die vermittelt werden, auch wahrnehmen. Wenn der Browser das Anzeigen von Grafiken oder Fotos blockiert, versorgen die Alternativtexte die User:innen mit den notwendigen Informationen und verringern damit zusammenhängende Website-Exits.
▶ Barrierefreiheit und SEO: Die korrekte Formatierung des Webtexts in Überschriften (H1, H2, …), Fließtext, Aufzählungen und Nummerierungen ist fixer Bestandteil der technischen SEO und vereinfacht den Webcrawlern das Auslesen der Webseiten. Gleichzeitig sind diese Formatierungen eine Unterstützung für Screenreader, auf diese Weise wird den Nutzer:innen nicht alles als langer Fließtext ohne Struktur vorgelesen.
▶ Barrierefreie Dokumente: „Wenn ihr auf eurer Website Dokumente zum Download anbietet, beispielsweise PDF-Informationsbroschüren, müsst ihr auch bei deren Layout und Formatierung auf die Barrierefreiheit-Standards achten. „Hierbei gilt es, einen ganzheitlichen Blick zu beweisen und die Barrierefreiheit bei allen Angeboten berücksichtigen.“, sagt Monika und macht erneut deutlich, wie viele Facetten das Thema Barrierefreiheit hat.
▶ Inhalte von Dritten: Bevor ihr Inhalte von Dritten auf euren Webseiten einbettet, müsst ihr diese auf Barrierefreiheit überprüfen. Monika rät euch Folgendes: „Bei Videos solltet ihr zum Beispiel darauf achten, dass korrekte Untertitel verfügbar sind. Im besten Fall fügt ihr neben dem Video noch einen kleinen Erklärtext ein, damit alle User:innen verstehen, dass der nachfolgende Inhalt aus einer audiovisuellen Quelle stammt. Sollten auch gehörlose Menschen zu eurer Zielgruppe zählen, würde ein zusätzliches Video in Gebärdensprache die Best Practice-Variante darstellen.“
▶ Fortlaufendes Teamprodukt: Das Schaffen einer digitalen Barrierefreiheit ist ein fortlaufender Prozess, da sich die Web-Standards im stetigen Wandel befinden. Auch Updates von CMS-Systemen oder Plug-ins können ein Nachschärfen bei der Barrierefreiheit notwendig machen. Ebenso dürft ihr nie vergessen, dass die Web Accessibility ein wichtiges Anliegen für alle am Webauftritt beteiligten Personen darstellen muss, damit diese tatsächlich effektiv umgesetzt werden kann. Sowohl auf der Kunden- als auch auf der Agenturseite muss klar sein, warum in diesen Bereich finanzielle sowie personelle Ressourcen investiert werden.
▶ Überprüfung der Barrierefreiheit: Für eine optimale User Experience solltet ihr die Barrierefreiheit eurer Webseiten in regelmäßigen Abständen kontrollieren. Hierfür stehen euch zahlreiche kostenlose Online-Tools, wie zum Beispiel das „WAVE Web Accessibility Evaluation Tool“ oder die Chrome-Erweiterung „ARC Toolkit“, zur Verfügung.
Warum ihr jetzt aktiv werden solltet
Da mit 28. Juni 2025 das europäische Gesetz zur Barrierefreiheitsstärkung in Kraft tritt, kann bereits jetzt in die Umsetzung von Online-Barrierefreiheit-Maßnahmen investieren werden. Dies ist sowohl aus ethischer als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll! Je später ihr euch bei einem Webprojekt um die digitale Barrierefreiheit kümmert, desto teurer wird die nachträgliche Umsetzung. Wenn ihr einen Relaunch durchführen möchtet, raten wir euch dazu, die Barrierefreiheit umfangreich zu berücksichtigen. Ist diese nämlich von Anfang an Bestandteil des Konzepts, entsteht vergleichsweise nur ein geringer Mehraufwand.
Das Bereitstellen von barrierefreien Funktionen und Content ermöglicht es euch, das volle Potenzial eurer Zielgruppen auszuschöpfen. Studien haben bewiesen, dass Menschen mit Beeinträchtigungen im Durchschnitt mehr Internet-Dienste in Anspruch nehmen als jene ohne. Spielt die Zielgruppe 50+ eine bedeutende Rolle für euren Geschäftserfolg, lohnen sich Web-Accessibility-Maßnahmen noch mehr, da die einfach verständliche Bedienbarkeit ein wichtiges Qualitätskriterium für diese Usergruppe darstellt.
Durch die Beachtung von Web Accessibility-Standards könnt ihr schon jetzt wertvolle Wettbewerbsvorteile schaffen und gleichzeitig beweisen, wie ernst ihr eure gesellschaftliche Verantwortung als Unternehmer:innen nehmt. Die soziale Verantwortung von privaten Unternehmen und Organisationen wird in der Öffentlichkeit weiter an Relevanz gewinnen – mit einem barrierefreien Web-Angebot setzt ihr ein wertvolles Zeichen für Gleichberechtigung!